[VOLTAIRE François-Marie Arouet de (1694-1778)]. SAÜL "Heimliches philosophische…
Beschreibung

[VOLTAIRE François-Marie Arouet de (1694-1778)].

SAÜL "Heimliches philosophisches Manuskript". Manuskript (s.l.n.d. [Paris, circa 1763]). 68 S. in-8, auf Blättern, die auf Vorder- und Rückseite mit floralen Holzschnittrahmen in blauer Tinte verziert sind, roter Schnitt, alles in einem zeitgenössischen marmorierten Kalbsledereinband mit fünf Bünden und Vorsätzen aus marmoriertem Papier, an den Gelenken verstärkt. Etikett der Kanzlei von M. Janvier de Flainville, avocat au parlement, & au bailliage présidial de Chartres, auf einem Vorsatzblatt aus marmoriertem Papier. Das Werk ist referenziert: "Belles-Lettres - Article 38 - Numéro 463 - Époques diverses". Handschriftliche Inschrift auf dem weißen Vorsatzblatt: "Ce manuscris m'a été donné le 11 septembre 1773 par Made. Valler - Relié le 6 septembre 1777...... 15". Als einzige von Voltaire verfasste biblische Tragödie [1] nimmt Saul im Korpus dieses Autors eine Sonderstellung ein. Dieses kurze Stück, das in Prosa geschrieben ist und sich an keinen der Kanons des Genres wie Anstand oder Einheit von Ort und Handlung hält, besteht aus fünf Akten. Es spielt an verschiedenen Orten (Caglala, Achila-Hügel, Siceleg, Hebron und Jerusalem) und verdichtet fast 80 Jahre biblischer Geschichte, von Sauls Sieg über das Volk der Amalekiter (1079 v. Chr.) bis zu Davids Tod (1015 v. Chr.) [2]. Als echtes antiklerikales Pamphlet, das die Torheiten des religiösen Fanatismus anprangert, vermischt Saul die Genres und enthält zahlreiche burleske Aspekte. Laut Clément Van Hamme ist "das Stück in erster Linie eine Parodie auf die Bibel, die die Unwahrscheinlichkeiten und Gewalttaten, von denen der heilige Text erzählt, aufzeigen will, indem sie vorgibt, nur den Buchstaben zu respektieren" [3]. Diese Version von Saul gehört zu einem ganz besonderen Genre, nämlich dem der "heimlichen philosophischen Manuskripte". Laut Alain Mothu bezeichnen sie "Schriften mit didaktischem und philosophischem Charakter im weitesten Sinne, in ihrer gemeinsamen rationalistischen Absicht, [...] überkommene Vorstellungen aufzulösen, die [...] die 'falschen' oder geoffenbarten Religionen [...] betreffen". [4]. Unser Exemplar ist von großer Seltenheit, da bislang nur vier heimliche Manuskripte dieses Stücks aufgelistet wurden [5]. Eine Untersuchung der Materialität lässt vermuten, dass das Manuskript in mehreren Exemplaren hergestellt werden sollte, insbesondere aufgrund der typografischen und ornamentalen Elemente, die mit Hilfe von Schablonen angebracht oder mit einer Holzmatrize gedruckt wurden. Die Verwendung solcher Verfahren lässt keinen Zweifel an der Absicht, mehrere Exemplare herzustellen, während eine solche Absicht bei den beiden Manuskripten von Saul in der Bibliothèque Mazarine [6] nicht vorhanden ist. Es ist sehr wahrscheinlich, dass unser Buch aus einer Werkstatt stammt, die sich auf diese Art der heimlichen Produktion spezialisiert hat und deren Existenz in Paris Ira Owen Wade anhand der Archive der Bastille dokumentiert hat [7]. Diese Tatsache legt die Vermutung nahe, dass unser Werk eines der Manuskripte gewesen sein könnte, die zeitgleich mit der gedruckten Version veröffentlicht wurden. Saul wurde um 1761 verfasst und 1763 unter der falschen Jahreszahl 1755 veröffentlicht. Es wurde wahrscheinlich unter Friedrich II. in Berlin aufgeführt, was auf ein Zeugnis von Bernardin de Saint-Pierre zurückgeht [8]. Der schwefelhaltige Charakter dieses Textes macht die Kenntnis seiner handschriftlichen und gedruckten Verbreitung besonders komplex. Wie Christophe Paillard betont, "hat Voltaire die Autorschaft von Saul gegenüber den Genfer oder Pariser Behörden immer wieder dementiert". Er führt insbesondere aus, dass der Autor "François Tronchin anflehte, die Angelegenheit zu vertuschen: "Ich gestehe Ihnen, dass es für mich sehr traurig wäre, wenn mein Name in meinem Alter kompromittiert würde; wenn Sie und Ihre Freunde dafür sorgen können, dass diese Dummheit vertuscht wird, werde ich Ihnen, so gut wie Mama, eine echte Verpflichtung haben" [9]. Am 14. August 1763 veröffentlichte der Schriftsteller außerdem eine Anzeige in den Petites affiches parisiennes, in der er die Vaterschaft Sauls kategorisch dementierte. Mit dieser gefürchteten Strategie sicherte Voltaire auf diese Weise seine Verteidigung und seine Redlichkeit, während er gleichzeitig den skandalösen Aspekt seines Stücks verstärkte und ihm dadurch eine gewisse Form von Öffentlichkeit verschaffte. Der Text unseres Manuskripts ist dem der gedruckten Ausgabe von 1763 ähnlich, es hat auch die gleiche Seite mit der Vorstellung der Figuren und die gleichen paratextuellen Angaben. Die Herkunft unseres Buches lässt sich anhand mehrerer Merkmale nachvollziehen. Auf einem der weißen Vorsätze befindet sich ein zeitgenössischer Eintrag, der besagt, dass das Werk am 11. September 1773 von einer gewissen Mademoiselle Valler[10] gestiftet wurde. Ebenso besagt der Eintrag auch, dass das Buch im Jahr 1777 gebunden wurde. Dass es sich in der Bibliothek von Jean-François-Augustin Janvier de Flainville (1717-1791) befand, wird durch ein Etikett auf dem marmorierten Vorsatzpapier belegt. Dieser aus Chartes stammende Literat, dessen Bürgermeister er war, hatte auch die Position eines Anwalts inne und betätigte sich als Historiker. Seine Bibliothek scheint in den 1960er Jahren entstanden zu sein.

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[VOLTAIRE François-Marie Arouet de (1694-1778)].

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